Nach den Europameisterschaften in Riga, die aus deutscher Sicht mit dem Gewinn der Goldmedaille durch Pascal Eisele gekrönt wurden, standen zunächst die jeweiligen vier kontinentalen Qualifikationsturniere für die Olympischen Spiele in Rio auf dem Programm, gefolgt von zwei Weltturnieren, welche das erlesene zwischen 19 und 22 Athleten umfassende Teilnehmerfeld für die Spiele komplettierten. Auch wenn aus den unterschiedlichsten Gründen in rein sportlicher Hinsicht nicht alle Wünsche und Hoffnungen in Erfüllung gingen, war das vom 14.08. bis 21.08.2016 ausgetragene olympische Ringerturnier ein Riesenerfolg, denn die Zuschauer durften mitunter hochklassige Kämpfe und spektakuläre Aktionen mit teilweise überraschenden Olympiasiegern und Medaillengewinnern erleben. Allen Teilnehmern, welche die Qualifikation für dieses nur alle vier Jahre stattfindende wichtigste Turnier, das es im Ringen gibt, geschafft hatten, gebührt allerhöchsten Respekt. Vielen von Ihnen bietet sich in vier Jahren in Tokio möglicherweise abermals die Chance, sich auf der großen Weltbühne zu präsentieren.
Gerade einmal 14 Tage nach Beendigung des Olympischen Ringerturnieres gilt es, nicht nur für zahlreiche in Rio teilnehmende Sportler, die Konzentration hochzuhalten und die Aufmerksamkeit auf das Geschehen in der deutschen Bundesliga zu richten. Aufgrund einer Vielzahl von Vereinsrückzügen in den letzten Jahren besteht die Bundesliga inzwischen nur noch aus acht Mannschaften, weshalb man nicht mehr umhin kam, erstmals nach fast 20 Jahren wiederum eine eingleisige Liga zu gründen. Die stetig steigenden Kosten für das ringerische Personal, Abgaben an die nationalen und internationalen Verbände, Reise-, Übernachtungs- und Unterbringungskosten, Hallenmiete etc., um nur einige Positionen aufzuführen, machte es zahlreichen Vereinen, darunter auch den Traditionsvereinen RWG Mömbris-Königshofen oder dem 1. Luckenwalder SC, unmöglich, konkurrenzfähig zu bleiben. Auch im Vorfeld der neuen Saison bis zur Beendigung des Tranferfensters Ende Mai war zu beobachten, dass das Wettrüsten der Vereine weiterhin und stetig zugenommen hat. Daher wird die Liga ausgeglichener besetzt sein als jemals zuvor und es wird keine schwächeren Vereine mehr geben, gegen die man sich auch noch mit seinem zweiten Anzug problemlos durchsetzen kann. Demzufolge sind alle acht Vereine sehr stark und vor allem deren Kader ausgeglichen besetzt, d.h. alle Clubs müssen unbedingt ernst genommen werden, denn in 14 Rundenkämpfen wird es kein leichtes Unterfangen, sich für das Halbfinale zu qualifizieren, sollte man sich eine überraschende, nicht einkalkulierte Niederlage einhandeln und sich evtl. sogar noch einen weiteren Ausrutscher leisten. Für Hochspannung ist jedenfalls gesorgt, weshalb ständige Spitzenkämpfe auf ringerisch allerhöchstem Niveau garantiert sind.
Der SVG Weingarten hat sich auf dem Transfermarkt zum Teil prominent verstärkt und möchte bei der Titelvergabe wieder ein gehöriges Wörtchen mitreden, nachdem man in den vergangenen sieben Jahren mit Ausnahme der Saison 2012/13 sechsmal die Finalkämpfe um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft erreichen konnte. Gerne würde man nach 2010/11 und 2011/12 den dritten Titel in der Vereinsgeschichte feiern, zumal man in den letzten drei Jahren jeweils gegen den ASV Nendingen den Kürzeren zog und sich nach Addition aller Einzelergebnisse zweimal punktgleich lediglich wegen der geringeren Anzahl an Einzelsiegen denkbar knapp geschlagen geben musste. Jedem Kenner der Ringkampfsportszene ist jedoch klar, dass es ein großes Gerangel um die vier Halbfinalplätze geben wird und es lässt sich nur schwer prognostizieren, welche Vereine das Rennen schlussendlich machen werden.
Das Gerüst der letztjährigen Mannschaft ist weitgehend zusammengeblieben und den Vereinsverantwortlichen ist es wiederum gelungen, die wichtigsten Korsettstangen um Kapitän Oliver Hassler, die Harth-Brüder sowie die Routiniers Jonny Panait, Anatoli Guidea und Adam Juretzko auch weiterhin an den Verein zu binden und weiterzuverpflichten, obwohl zahlreiche Angebote anderer Bundesligavereine vorlagen. Darüber hinaus haben sich folgende, größtenteils namhafte, neun hochkarätigen Verstärkungen der Walzbachstaffel neu angeschlossen:
- Frank Stäbler (GER, 66kg griechisch-römisch): u. a. Weltmeister 2015, Europameister 2012, WM-Dritter 2013, Olympia-Fünfter 2012, Olympia-Siebter 2016
- Albert Saritov (ROM, 98/130kg Freistil): u. a. Olympiadritter 2016 in Rio bis 97 kg, WM-Dritter 2011 im Limit bis 84 kg
- Khetik Tsabolov (RUS, 75kg Freistil): u. a. Weltmeister 2014 bis 70 kg, 2. World Cup 2016 bis 74 kg
- Alejandro Valdes Tobier (CUB, 66kg Freistil): u. a. Olympia-Siebter 2016, WM-7. 2011, 1. Qualifikationsturnier Nord- und Mittelamerika für die Olympischen Spiele 2016, dreimaliger Gewinner der Pan American Championships
- Damian Janikowski (POL, 86kg griechisch-römisch): u. a. Olympiadritter 2012, Vize-Weltmeister 2011, EM-Dritter 2014, 2. World Military Games 2015
- Felix Baldauf (NOR, 98kg griechisch-römisch): u. a. WM-Dritter Junioren 2014, Europameister Junioren 2014, Vize-Europameister Junioren 2012, EM-Dritter U23 2015
- Magomedgadji Nurasulov (RUS/SRB, 130kg Freistil): u. a. Weltmeister Junioren 2012, WM-Dritter Junioren 2011, 1. Ali Aliev-Turnier 2012, 1. Ivan Yarygin-Turnier 2013
- Dustin Scherf (GER, 61kg griechisch-römisch): u. a. 3. Grand Prix von Deutschland in Dortmund 2008, 2012 und 2016, Deutscher Meister 2008, siebenmal DM-Dritter
- Christian Fetzer (GER, 66kg griechisch-römisch): u. a. Vize-Europameister 2005, EM-Dritter Junioren 2004, Deutscher Meister 2009 und 2010, viermal DM-Zweiter
Der Kader für die neue Saison umfasst 24 Sportler, bestehend aus zehn deutschen Ringern, elf EU- und drei Nicht-EU-Ausländern. Meiner Auffassung nach wurde der Lizenzkader sehr ausgewogen und variabel zusammengestellt, zumal eine gesunde Mischung aus jüngeren und älteren Athleten, aus Talent, Dynamik einerseits sowie Routine und großer Erfahrung andererseits vorherrscht. Ob dies der Schlüssel zum Erfolg sein wird, muss sich zwar noch zeigen, jedenfalls wurde bei der Verpflichtung der Athleten von der sportlichen Leitung beim SVG Weingarten mit sehr viel Weitblick agiert. Dennoch wird die neue Saison für keinen Verein ein Selbstläufer, wenn man einen Blick auf die Kader der anderen Mannschaften wirft, von denen mindestens sechs Halbfinalambitionen hegen. Die Kenner der Szene handeln den KSV Aalen und den letztjährigen Aufsteiger KSV Ispringen neben dem SVG Weingarten als größte Titelaspiranten oder zumindest als Anwärter auf das Erreichen der in der neuen Saison erstmals drei Finalkämpfe umfassenden Endkampfserie. Dem kann ich nicht widersprechen, dennoch dürfen weder der sechsfache Deutsche Meister KSV Köllerbach noch der ASV Mainz 88, deutscher Meister in 2013, außer Acht gelassen werden, wenn es um die Vergabe der Halbfinaltickets geht. Gleiches gilt für den ASV Nendingen, den Meister der vergangenen drei Jahre, selbst wenn man dort nach eigenem Bekunden finanziell etwas kürzer treten will. Der VfK Schifferstadt hat sich ebenfalls gut verstärkt und u. a. einige deutsche Sportler wie Oldrik Wagner (98/130kg Freistil) und Ilyas Özdemir (75kg griechisch-römisch) unter Vertrag genommen. Die Deutschquote war in den vergangenen beiden Jahren die Achillesferse beim Pfälzer Traditionsverein. Nicht vergessen darf man in diesem Zusammenhang, dass drei Sportler aus den Reihen des VfK Schifferstadt (Frank Chamizo, ITA, 65kg Freistil), Shmagi Bolkvadze (GEO, 66kg griechisch-römisch) sowie Denis Kudla (GER, 85kg griechisch-römisch) Bronzemedaillen bei den Olympischen Spielen in Rio gewonnen haben. Schwer einzuschätzen ist der TuS Adelhausen, der zwar nach wie vor über einen starken und ausgeglichenen Kader verfügt, allerdings scheint es dort dem Vernehmen nach einige finanzielle Engpässe zu geben, weshalb man gespannt sein darf, ob der südbadische Verein ständig in Bestbesetzung antreten kann und wird.
Fast schon in Ehrfurcht erstarren werden viele Gegner, sobald Sie sich mit den Topkadern des KSV Ispringen und des KSV Aalen näher befasst haben. Nicht weniger als 17 neue Ringer haben den Weg in den Ort am Kämpfelbach gefunden. Als Aushängeschilder verdienen insbesondere die beiden von der RWG Mömbris-Königshofen verpflichteten Kakhaber Khubezhty (RUS, 75/86kg Freistil) sowie Johan Euren (SWE, 130kg griechisch-römisch), seines Zeichens Olympiadritter von 2012, aber auch der vom 1. Luckenwalder SC gewechselte deutsche Freistil-Schwergewichtler Nick Matuhin, besondere Erwähnung. Die Maximalzahl von 15 erlaubten Ausländern im Kader wurde voll ausgeschöpft, was die Mannschaft aufgrund der hinzugewonnenen Variabilität noch unberechenbarer macht als im Vorjahr, in welchem der Aufsteiger überraschenderweise gleich den sofortigen Einzug in das Halbfinale schaffte, was Ihnen im Vorfeld der Saison nur von den wenigsten Fachleuten zugetraut wurde.
Als Topfavorit auf den Meistertitel muss der KSV Aalen angesehen werden, sofern es gelingt, alle Stars auf die Matte zu bekommen. Vladimer Khinchegashvili (GEO, 61kg Freistil) und Taha Akgül (TUR, 130kg Freistil) ließen ihren letztjährigen WM-Titeln vor wenigen Tagen den Olympiasieg folgen, wodurch sich beide in ihren Heimatländern unsterblich machten und dort unglaubliche Popularität genießen. Söner Demirtas (TUR, 75kg Freistil), ebenfalls wie Akgül ehemals eine Saison beim SVG Weingarten aktiv, gewann in Rio die Bronzemedaille. Nachdem man mit dem vom KAV Mansfelder Land gewechselten Erik Thiele (98kg Freistil) und den beiden Ex-Germanen Ramsin Azizsir (86/98kg griechisch-römisch) und Deniz Menekse (66kg griechisch-römisch) die Deutschquote massiv verstärkt hat, kann man erahnen, dass es für jeden Verein schwer wird, der Mannschaft aus der Ostalb ein Bein zu stellen. Solvente neue Sponsoren ermöglichten der sportlichen Leitung beim KSV Aalen, auf Einkaufstour durch Europa zu gehen und einen hochkarätigen Kader zusammenzustellen, der seinesgleichen sucht. Die Meisterschaft wird und kann daher nur über den Deutschen Meister von 2010 gehen.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass es in der Geschichte des Mannschaftsringens in Deutschland noch niemals zuvor eine derart große Ansammlung an Hochkarätern und Topringern in den Kadern der acht Bundesligavereine gab und dass die Ausgeglichenheit der Liga in der Vergangenheit selten so hoch war wie in der kommenden Saison. Dieses Gütesiegel sorgt für absolute Hochspannung und bürgt für große Qualität, zu welcher der SVG Weingarten maßgeblich beizutragen gedenkt.
Wieland Mößner