Den Auftakt bilden am 14.08. die Griechisch-römisch-Spezialisten, die an drei aufeinanderfolgenden Tagen in jeweils zwei Gewichtsklassen Olympiasieger und Medaillengewinner ermitteln. Auf die Klassiker folgen zur Wochenmitte am 17.08. und 18.08. die Frauen mit jeweils drei Entscheidungen am Tag. Der Abschluss der Wettbewerbe im Ringen gehört den Freistil-Spezialisten, die vom 19.08 bis 21.08., also auch noch am Schlusstag der Olympischen Spiele, auf Medaillenjagd gehen werden. Demnach wird in allen drei Stilarten in jeweils sechs Gewichtsklassen ein kompletter Medaillensatz vergeben.
Insgesamt werden in der Sportart Ringen sieben Sportler und Sportlerinnen die deutschen Farben vertreten, während es in London lediglich vier deutsche Teilnehmer gab. Einziger Wermutstropfen aus deutscher Sicht ist, dass es diesmal kein deutscher Freistilringer geschafft hatte, sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Dieses Kunststück war Tim Schleicher im Limit bis 60 kg und Schwergewichtler Nick Matuhin vor vier Jahren gelungen. Mit Eigengewächs Luisa Niemesch und Neuzugang Frank Stäbler, Weltmeister von Las Vegas 2015, gehören auch zwei Aktive aus den Reihen des SVG Weingarten zum Kreis der qualifizierten deutschen Teilnehmer. Mit dem seit einigen Jahren in Weingarten lebenden Ionut Panait (Rumänien) sowie den beiden weiteren Neuverstärkungen Alejandro Valdes Tobier (Kuba) und Albert Saritov (Rumänien) konnten sich insgesamt fünf Athleten, welche in der neuen Saison das SVG-Trikot überstreifen werden, für Rio qualifizieren. Dies nehmen wir zum Anlass, im Vorfeld der Wettkämpfe näher auf die einzelnen Sportler einzugehen und deren Chancen zu beleuchten. Die Athleten werden nachstehend in chronologischer Reihenfolge ihres Eingreifens in das sportliche Geschehen aufgeführt.
Frank Stäbler
27 Jahre, Neuzugang vom ASV Nendingen, Gewichtsklasse bis 66 kg griechisch-römisch, Einsatz am 16.08.2016
Er ist seit etwa vier Jahren, als er bei den Olympischen Spielen in London den 5. Platz belegte, das Aushängeschild im Ringen in Deutschland schlechthin und daher zwangsläufig das heißeste deutsche Eisen im Feuer. Egal, was man über diesen ehrgeizigen und äußerst trainingsfleißigen Sportler auch schreiben mag, hieße Eulen nach Athen zu tragen, denn wenn man seine zahlreichen und beispiellosen sportlichen Erfolge benennt, wird man ihm als Person nur zu einem Bruchteil gerecht. Ich möchte an dieser Stelle auch keinen Erklärungsversuch starten. Es sei nur so viel erzählt, dass es ihm als einem der ganz wenigen Menschen nachweislich gelingt, Beruf und Hochleistungssport unter einen Hut zu bringen - und dies auf allerhöchstem Niveau. In einer so trainingsintensiven Sportart wie Ringen erscheint das noch schwieriger als in den meisten anderen Sportarten, da Kondition, Schnelligkeit, Technik und Koordination in Einklang miteinander gebracht werden müssen. Jedenfalls benötigt man einen ganz besonderen Charakter und Willensstärke, um sich vor diesem Hintergrund in der Weltspitze festsetzen zu können, was Frank Stäbler zweifellos geschafft hat. Seinen größten sportlichen Erfolg verzeichnete er mit dem WM-Titel im Vorjahr, als er nacheinander im Halbfinale den Titelträger von 2014, Davor Stefanek aus Serbien, und im Finale Hansu Ryu aus Südkorea, den Weltmeister von 2013, besiegen konnte. Weitere herausragende Erfolge des Musbergers sind der Europameistertitel 2012 und der 3. Platz bei den Weltmeisterschaften 2013. Eine alte Weisheit im Sport besagt, dass die Bestätigung eines Titels noch schwerer ist als der erstmalige Gewinn desselben, da man fortan der Gejagte ist und viele andere Sportler sich an einem orientieren. Dies trifft fraglos auch auf das Ringen zu, wenngleich die Liste der Medaillenkandidaten im Greco-Leichtgewicht unendlich lange ist. Als größte Konkurrenten von Frank Stäbler wird man hauptsächlich folgende Athleten ansehen: Hansu Ryu KOR, Weltmeister 2013, Vizeweltmeister 2015; Rasul Chunayev AZE, Weltmeister 2015 bis 71 kg; Tamas Lörincz HUN, Vize-Olympiasieger 2012, Europameister 2006, 2013 und 2014; Islam-Beka Albiev RUS, Olympiasieger 2008 bis 60 kg und Omid Haji Noroozi IRI, Olympiasieger 2012 bis 60 kg. Als ebenfalls chancenreich im Kampf um die olympischen Medaillen sehe ich Davor Stefanek SRB an, der in der Bundesliga für den TuS Adelhausen ringt und Shmagi Bolkvadze GEO, der sich vor einem Jahr dem VfK Schifferstadt angeschlossen hat.
Ionut Panait
35 Jahre, Gewichtsklasse bis 66 kg Griechisch-römisch, Einsatz am 16.08.2016
Wirft man einen Blick in die Foeldeak Wrestling Database, also in die Datenbank mit den internationalen Erfolgen jedes Ringers, stellt man fest, dass zwischen 2011 und 2016 keine Einträge bei "Johnny" Panait zu finden sind. Dies hat einen simplen Grund, denn nach der Weltmeisterschaft 2011 in Istanbul hatte der Weingartener Publikumsliebling eigentlich seine internationale Karriere in der rumänischen Nationalmannschaft beendet und danach seinen Lebensmittelpunkt nach Weingarten verlegt. Ohne große Erfolgsaussichten und Ambitionen hatte sich der zweimalige Vize-Europameister, auch auf Drängen des rumänischen Nationaltrainers, kurzerhand dazu entschlossen, am 2. Olympia-Qualifikationsturnier in Ulaan-Baatar, der Hauptstadt der Mongolei, teilzunehmen. Was dann an jenem historischen 22.04.2016 passierte, hätten nicht einmal die kühnsten Optimisten zu hoffen gewagt. Johnny hatte nicht nur das Olympia-Qualifikationsturnier gewonnen und sich somit für die Olympischen Spiele in Rio qualifiziert, sondern die souveräne Art und Weise, wie er seine Gegner besiegte, verblüffte alle Fachleute. Dieses Turnier und die Tatsache, dass er bei 128 Siegen in 148 Kämpfen im Trikot des SVG Weingarten eine unglaubliche Siegquote von 86% aufweisen kann, beweisen eindrucksvoll, dass der Rumäne aus demselben Holz geschnitzt ist wie Weltmeister Frank Stäbler und mit den gleichen hervorstechenden Eigenschaften wie dieser ausgestattet ist, die da heißen Kampfkraft, unbändige Willensstärke und Ehrgeiz. Wer weiß, vielleicht hilft dies dem Sympathieträger und mehrfachen Bundesliga-Topscorer, auch in Rio die eine oder andere Überraschung zu landen.
Luisa Niemesch
20 Jahre, Gewichtsklasse bis 58 kg Female Wrestling, Einsatz am 17.08.2016
Nicht weniger erstaunt zeigten sich die Kenner der Materie darüber, dass das Weingartener Eigengewächs, ebenfalls im mongolischen Ulaan-Baatar, am 23.04.2016 sensationell bis ins Finale durchmarschierte und sich somit in beeindruckender Manier das Olympiaticket ergattern konnte. Ausgestattet mit einem unbändigen Kämpferherz gelang es Luisa nach einem 0:4-Rückstand, ins Match zurückzufinden und Natalia Golts aus Russland, die als haushohe Favoritin in diese Begegnung gegangen war, mit einer wahren Energieleistung noch mit 5:4 Punkten zu besiegen. Um diesen herausragenden Erfolg von Luisa richtig einzuordnen, sei ein Blick in die Vita der Russin gestattet: Natalia Golts ist fünffache Europameisterin, einmal Vizeweltmeisterin und dreimal WM-Dritte geworden, allerdings hauptsächlich in der inzwischen nicht mehr olympischen Gewichtsklasse bis 55 kg. Klare Favoritin auf olympisches Gold in dieser Gewichtsklasse ist die 10-fache Weltmeisterin Kaori Icho aus Japan, die ebenfalls wie ihre noch erfolgreichere 34-jährige Landsfrau Saori Yoshida (13-fache Weltmeisterin) im Limit bis 53 kg in Rio zum sage und schreibe vierten (!) Mal Olympiasiegerin nach 2004, 2008 und 2012 werden kann, was einmalig in der Historie des olympischen Ringens wäre. Der große Alexander Karelin gewann dreimal Olympiagold bevor er im Finale von Sydney völlig überraschend vom Amerikaner Rulon Gardner besiegt wurde. Daraufhin beendete der damals 33-jährige Ausnahmeringer seine Traumkarriere mit drei Olympiasiegen, neun WM-Titeln und weiteren unzähligen EM-Titeln. Er gilt völlig zurecht als bester Griechisch-römisch-Ringer aller Zeiten. Dreimal gewann auch der Usbeke Artur Taimazov die olympische Goldmedaille, und zwar in den Jahren 2004, 2008 und 2012 im Freistil-Schwergewicht, darüber hinaus wurde er Vize-Olympiasieger in 2000 und zweimal Weltmeister. Dies sei als nicht unbedeutende olympische Randnotiz bemerkt. Wir drücken Luisa Niemesch die Daumen, dass Sie ein gutes Los mit einer schlagbaren Gegnerin zum Auftakt erwischt und evtl. weitere Kämpfe im Turnierverlauf bestreiten darf. Aufgrund ihre Schnelligkeit, ihrer guten Kondition und ihrem Kampfgeist bin ich davon überzeugt, dass die ehemalige Vizeweltmeisterin bei den Kadetten (2012) ihre Fans nicht enttäuschen und ein gutes Turnier ringen wird.
Alejandro Valdes Tobier
27 Jahre, Neuzugang von der RWG Mömbris-Königshofen, Gewichtsklasse bis 65 kg Freistil, am 21.08.2016 im Einsatz
Wie fast alle Ringer vom Inselstaat in der Karibik besticht Alejandro Valdes Tobier durch Schnelligkeit und filigrane Technik. In der vergangenen Bundesligarunde durften wir u. a. in seinem mit 6:2 Punkten gegen Anatoli Guidea gewonnenen Kampf Zeuge seiner hohen ringerischen Kunst sein. Besondere Leckerbissen waren die beiden Begegnungen gegen den ebenfalls aus Kuba stammenden und inzwischen in Italien eingebürgerten amtierenden Weltmeister Frank Chamizo, der vor zwei Jahren vom VfK Schifferstadt unter Vertrag genommen wurde und dort innerhalb kürzester Zeit zum absoluten Publikumsliebling avancierte. Valdes Tobier ringt ähnlich attraktiv, unterlag letztlich zwar in beiden Duellen, bot dem Favoriten allerdings lange Paroli und agierte auf Augenhöhe. Beim amerikanischen Olympic Qualification Tournament in Frisco gewann er im Frühjahr souverän den Titel, was Ihm das Ticket für Rio bescherte. Seine zuletzt großartige Form stellte er mit Turniersiegen beim Waclaw Ziolkowski Memorial in Polen sowie beim Canada Cup unter Beweis. Dadurch kann man Ihn zu einem der chancenreichen Außenseiter zählen, wenngleich die Trauben in dieser extrem stark besetzten Gewichtsklasse sehr hoch hängen. Die olympische Goldmedaille wird nur über den amtierenden Weltmeister Frank Chamizo (ITA), ein unbeschreibliches Bewegungstalent, vergeben. Als seine Hauptkonkurrenten stufe ich den in Russland geborenen und seit 2014 für Polen startenden Magomedmurad Gadzhiev, Europameister 2016 und Gewinner des kontinentalen Qualifikationsturnieres im serbischen Zrenjanin (er stand in den letzten beiden Jahren beim KAV Mansfelder Land unter Vertrag) sowie Togrul Asgarov (AZE), Olympiasieger 2012 in der Gewichtsklasse bis 60 kg Freistil und unlängst Gewinner des Grand Prix von Deutschland in Dortmund, Soslan Ramonov (RUS), Weltmeister 2014 und WM-Dritter 2015 und last but not least Adam Batirov (BRN), Vize-Weltmeister 2009 und Sieger des Olympia-Qualifikationsturnieres in Ulaan-Baatar, ein. Der langjährige Germane Sahit Prizreni, inzwischen 33 Jahre alt und im Besitz der australischen Staatsbürgerschaft, schaffte es doch ein wenig überraschend, das Finale beim afrikanischen/ozeanischen Olympiaqualifikationsturnier in Algier zu erreichen, womit er das Ticket für Rio löste. Trotz der in diesen beiden Kontinenten nicht gerade übermächtigen Konkurrenz im Freistil gebührt dieser Leistung allerhöchsten Respekt, vor allem, wenn man weiß, dass der in Albanien geborene Ringer sein Trainingspensum erheblich reduzierte, nachdem er seinen Lebensmittelpunkt nach Australien verlegt hatte. Nach der erfolgreichen Olympiaqualifikation hat er eigenen Angaben zufolge so intensiv trainiert wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass sich der im letzten Jahr beim SVG Weingarten unter Vertrag stehende, in den USA lebende Bulgare Borislav Novachkov, der aufgrund des Vetos des bulgarischen Verbandes keinen einzigen Kampf für die Germanen absolvieren durfte, mit dem 1. Platz beim letzten Weltturnier in Istanbul noch auf den letzten Drücker für Rio qualifizieren konnte.
Albert Saritov
31 Jahre, Neuzugang, erstmals in der Bundesliga aktiv, Gewichtsklasse bis 97 kg Freistil, am 21.08.2016 im Einsatz
Der in Russland geborene blendende Techniker erhielt erst unmittelbar vor dem 3. und letzten Olympiaqualifikationsturnier in Istanbul die rumänische Staatsbürgerschaft, wodurch er erst sehr spät in den Kampf um eines der begehrten Olympiatickets eingreifen konnte. Diese Chance ließ er sich mit einem überlegenen Turniersieg nicht entgehen. Sein großes Potenzial und seine ringerische Klasse ließ Saritov im Halbfinale beim technisch überhöhten Punktsieg gegen den amtierenden Vize-Europameister Ivan Yankouski aus Weißrussland aufblitzen. Seine bisher größten Karriereerfolge verzeichnete der Neu-Rumäne im Mittelgewicht mit dem 3. Platz bei der Weltmeisterschaft 2011 in Istanbul und dem Turniersieg beim großartig besetzten Ali Aliev Turnier im Jahr 2014. Nach seinem Aufstieg ins Halbschwergewicht gilt er zwar nicht unbedingt als Medaillenkandidat in einer Gewichtsklasse, in der nicht weniger als zehn Ringer aus den ehemaligen GUS-Staaten auf die Matte gehen werden, unterschätzen sollte Ihn allerdings keiner seiner Gegner. Als Turnierfavoriten in diesem Limit gelten aus meiner Sicht folgende vier Ringer: Anzor Boltukaev (RUS), Europameister 2016, WM-Dritter 2013; Khetag Goziumov (AZE), Olympiadritter 2008 und 2012, Weltmeister 2010, Europameister 2009, 2010, 2011 sowie Gewinner der European Games 2015; Kyle Snyder (USA), Weltmeister 2015 und Sieger bei den US-internen Ausscheidungskämpfen, u. a. mit einem Erfolg gegen London-Olympiasieger Jakob Varner, sowie Reza Yazdani IRI, Weltmeister 2011 und 2013.
Wir wünschen den fünf Olympiateilnehmern aus den Reihen des SV Germania Weingarten sowie der deutschen Mannschaft viele unvergessliche Erlebnisse, einzigartige Momente in toller und begeisternder Atmosphäre sowie den sportlich größtmöglichen Erfolg. Mit meinen Ausführungen bin ich nun am Ende angelangt, allerdings möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit wahrnehmen, meine ganz persönlichen Goldtipps abzugeben, wohlweislich, dass es in einem Turnier stets viele Überraschungen geben wird, mit denen niemand rechnet, weshalb ich nicht unbedingt mit einer Trefferquote von mehr als 50% rechne.
Goldtipps
- 59 GR: Hamid Soryan IRI
- 66 GR: Frank Stäbler GER (SVG Weingarten)
- 75 GR: Roman Vlasov RUS
- 85 GR: Zhan Belenyuk UKR (ex-SVG Weingarten)
- 98 GR: Artur Aleksanyan ARM
- 130 GR: Mijain Lopez Nunez CUB
- 48 FW: Mariya Stadnik AZE
- 53 FW: Saori Yoshida JPN
- 58 FW: Kaori Icho JPN
- 63 FW: Battsetseg Soronzonbold MGL
- 69 FW: Natalya Vorobieva RUS
- 75 FW: Adeline Gray USA
- 57 FS: Vladimer Khinchegashvili GEO
- 65 FS: Magomedmurad Gadzhiev POL
- 74 FS: Jordan Burroughs USA
- 86 FS: Abdulrashid Sadulaev RUS
- 97 FS: Anzor Boltukaev RUS
- 125 FS: Taha Akgül TUR (ex-SVG Weingarten)
Von Wieland Mößner